4. Kommentar: Nichts aus der Vergangenheit gelernt? (von Wolfgang Hosemann) Am 23. Juni 2002 erreichte die Amiga-User in aller Welt einmal mehr ein Executive Update von AMIGA, Inc. Diesmal aber mit mehr oder weniger überraschendem Inhalt. Die Überraschung war die, inzwischen vieldiskutierte, Ankündigung einer "early promotion"-Aktion. Es handelt sich dabei um die Möglichkeit, für USD 50 (zahlbar per Kreditkarte) ein T-Shirt mit dem "I am Amiga"-Logo und einen Gutschein zu erwerben, der bei Kauf eines AmigaOne und/oder AmigaOS 4 angerechnet werden soll. Außerdem würde man an einer Verlosung teilnehmen, bei der AmigaOne, Handys und Reisen zu gewinnen sind - dies aber erst ab einer bestimmten Anzahl von verkauften Gutscheinen. Inzwischen wurde das Angebot noch erweitert um eine Mitgliedschaft in einem "I am Amiga"-Club mit Newsletter und ggf. Einkaufsermäßigungen. Zusätzlich haben sich am 02.07.2002 zwei Amiga-Händler in Deutschland dieser Aktion angeschlossen und bieten die "early promotion"-Aktion auch für die User in Deutschland und Europa an. AMIGA, Inc. hatte nämlich geflissentlich übersehen, dass eine derart große Verbreitung von Kreditkarten wie in den USA im Euro-Raum nicht gegeben ist. Man wurde daraufhin erst mal mit Anfragen überflutet, wie man an dieser Aktion denn auch ohne Kreditkarte teilnehmen kann. Die Händler übernehmen nun die Versorgung der "außeramerikanischen" Amiga-User. Zweck dieser ganzen Aktion ist, laut dem Executive Update, die Anzahl kaufwilliger Amiga-User weltweit festzustellen. In den Diskussionsforen im WWW wurde kurz darauf deutlich, dass viele diese Aktion anfangs für eine der altbekannten (und gehassten) Vorbestellungsaktionen hielten. Diese Art von Aktion hatte durch das Vorbestellungs-Desaster für die G3-Karten von phase5 traurige Berühmtheit erlangt. Einer der Vorwürfe, die einmal mehr in Richtung AMIGA, Inc. gingen, war, nichts aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Einige der Beiträge in diversen Foren sprachen auch von dem Versuch, den Usern Geld mit einem Vapor-Produkt aus der Tasche ziehen zu wollen. AMIGA, Inc. ist in mehreren Erweiterungen des Executive Updates auf alle oben genannten Aspekte der Promotionsaktion eingegangen. Man stellte klar, dass man allen Usern weltweit die Teilnahme an dieser Aktion ermöglichen wolle und daher mit Händlern in aller Welt Kontakt aufgenommen habe (in Deutschland ist das offensichtlich bereits geschehen). Den Vorwurf der Vapor-Ware entkräftete man mit dem Hinweis auf den bereits vorgeführten AmigaOne. Der erstaunlichste Satz im letzten Update des Updates(!) war allerdings der Hinweis, dass man sehr wohl aus der Vergangenheit gelernt habe und die Fehler von damals nicht wiederholen wolle. Nun, wie ist diese Aktion zu beurteilen? Es ist natürlich unmöglich, die Zukunft hundertprozentig vorauszusehen. Bisher wissen wir nur, dass die "Strategie" von AMIGA, Inc. ziemlich sprunghaft ist und Ankündigungen nicht vollständig verwirklicht wurden. Prominentestes Beispiel dafür ist AmigaDE, und erinnert sich noch jemand an "AmigaOS x86" alias Amithlon? Seit einiger Zeit scheint AmigaOS 4 zusammen mit dem AmigaOne erklärtes Ziel von AMIGA, Inc. zu sein. Die Vorführungen des AmigaOne, die Erläuterungen zum AmigaOS 4 und auch die Promotionsaktion scheinen dies zu bestätigen. Wie Bill McEwen erklärte, dient diese dazu, die Anzahl der User weltweit und die Kaufkraft des Marktes festzustellen. Ob man den Hinweis auf die "riesigen Elektronikgeschäfte" und diverse andere Unternehmen ernst nehmen muss, wird sich in der Zukunft zeigen. Eines macht diese Erklärung aber deutlich: Selbst die Eigentümer des Amiga wissen offensichtlich nicht genau, wie viele User es denn nun weltweit noch gibt. Aber es gibt natürlich andere Möglichkeiten, die Anzahl der User zu ermitteln. Die Aktion mit einem Geldbetrag zu verbinden, lässt auf eine finanzielle Absicht hinter dieser Aktion schließen. Ob AMIGA, Inc. (immer noch) Probleme finanzieller Art hat, darüber lässt sich aber nur spekulieren. Rechnen wir doch mal eben kurz: Bei 2.500 ausgegebenen Gutscheinen � 50 US-Dollar kämen wir auf einen Betrag von 125.000 US-Dollar, der AMIGA, Inc. zur Verfügung stände. Klingt im ersten Moment viel, aber sehen wir weiter... Diese Anzahl ist der Startpunkt für die Verlosung von vier AmigaOne/AmigaOS4-Systemen mit einem voraussichtlichen Verkaufspreis von (grob geschätzt) 800 US-Dollar. 800 mal 4 wären 3.200 US-Dollar. Abzüglich dieses Betrages blieben dann 121.800 US-Dollar übrig. Abzuziehen wären auch die T-Shirts, sagen wir mal 2 US-Dollar pro Stück. Das wären noch mal 5.000 US-Dollar weniger, also 116.800 US-Dollar. Nicht zu vergessen sind auch die nun angekündigten Erweiterungen der Aktion, Newsletter usw. Dafür fallen natürlich auch Kosten an, schätzen wir mal 2.500 US-Dollar, damit wären wir bei 114.300 US-Dollar. Dieser Betrag könnte also von AMIGA, Inc. dazu eingesetzt werden, um die Geschäfte weiterzuführen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass das Unternehmen finanziell an der Entwicklung/Fertigung des AmigaOne beteiligt ist. Dass so etwas mächtig ins Geld geht, brauche ich wohl niemandem extra zu erläutern. Da sind die etwas mehr als 100.000 US-Dollar ein nicht mehr so großer Betrag. Es ist daher eher fraglich, ob tatsächlich finanzielle Probleme der Grund für diese Aktion sind. Wenn aber doch finanzielle Probleme bestehen sollten, so sind es zumindest keine Probleme extremer Größenordnung. Es sieht eher so aus, als wäre AMIGA, Inc. mehr oder weniger dazu gezwungen, eine weitergehende Vermarktung des AmigaOS4/AmigaOne an Dritte vorzufinanzieren (vielleicht die "riesigen Elektronikgeschäfte", die im Executive Update erwähnt werden?). Man kann jetzt natürlich sagen, dass es sich dann wohl doch um eine Vorfinanzierungsaktion � la phase5 handelt. Dagegen spricht allerdings die Existenz des angekündigten Produkts und die Involvierung mehrerer Beteiligter in dieses Projekt (Eyetech, Hyperion, externe Entwickler). Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Ermittlung der User-Zahlen liefert ein weiteres wichtiges Indiz bezüglich des Status des Projekts AmigaOS4/AmigaOne. Um dieses finanziell erfolgreich gestalten zu können, müssen AMIGA, Inc. und die Partner einen Rechenansatz haben. Es muss ermittelt werden, wie viele Einheiten abgesetzt werden können. Schließlich entscheidet die Zahl der Einheiten über die Preiskonditionen bei der Herstellung und dem Einkauf der Einzelteile. Es scheint also einen konkreten Bedarf für diese Zahlen zu geben. Die Anzahl der (theoretisch) absetzbaren Einheiten ist wiederum ein wichtiger Faktor für die Attraktivität des "Marktes" Amiga. Mit konkreten Zahlen über die Anzahl der User weltweit lässt sich potenziellen Marktinteressenten aufzeigen, dass es geschäftlich attraktiv sein kann, in Produkte für den Amiga zu investieren. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass solche Interessenten existieren (wenn auch nicht unbedingt "riesige Elektronikgeschäfte") und dass diese das Produkt AmigaOS4/AmigaOne begrüßen. AMIGA, Inc. erschlägt mit dieser Aktion also mehrere Fliegen gleichzeitig: Eine (eher geringfügige) Vorfinanzierung der Produktions- und Folgekosten (Vermarktung, Werbung) sowie Anziehung neuer Produzenten von Hard- und Software und somit Einnahmen (z.B. durch Lizenzen). Des weiteren sondert man sich von der Markt-internen Konkurrenz ab, die für potenzielle Investoren vorerst keine voraussichtlichen Absatzzahlen liefern kann. Nicht zu vergessen wäre auch, dass der Name Amiga durch diese Aktion eine größere Bekanntheit erreichen kann (ich sage kann, da die Auswirkungen der Promotionsaktion auf die Nicht-Amiga-User noch nicht abzuschätzen sind). Eigentlich wäre das Ganze also eine sinnvolle Aktion, aber ein schaler Beigeschmack bleibt: Die leidvollen Erfahrungen aus der Vergangenheit. AMIGA, Inc. täte daher gut daran, diese Aktion wirklich bis zum Schluss (Veröffentlichung AmigaOS4/AmigaOne, Vergabe der Preise) durchzuziehen und den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Davor wäre eine weiter verstärkte Öffentlichkeitsarbeit in Bezug auf AmigaOS4/AmigaOne angebracht, um den Usern definitiv zu zeigen, dass AmigaOS4 und AmigaOne keine Vapor-Ware sind. Wie wäre es z.B. mit einer lauffähigen Vorführung auf der AmiWest 2002? Des weiteren wäre es angebracht, dass AMIGA, Inc. diese Aktion dazu nutzt, im gesamten Auftreten endlich professionell zu werden. Das Heckmeck um Amithlon in der ersten Version (war zuerst im Sinne von AMIGA, Inc., dann wieder nicht) und nun in der zweiten Version (ist jetzt im Sinne von AMIGA, Inc., demnächst vielleicht wieder nicht?), die einstige Bevorzugung des AmigaDE, nun des AmigaOS 4 & AmigaOne sowie die scheinbare Interesselosigkeit bezüglich der Anwenderschaft und potenzieller Investoren hinterließen bisher nur den Eindruck eines Unternehmens, das von chaotischen Amateuren geführt wird. Nun ist die wahrscheinlich letzte Gelegenheit gekommen, allen zu zeigen, dass man nicht nur Sprüche klopft, sondern tatsächlich aus der Vergangenheit gelernt hat und etwas bewegen kann. Wolfgang Hosemann <whose@gmx.de> |